© Cash; 2002-04-26; Seite 41; Nummer 17
Auch die Chefs bleiben zu Hause
Seit Jahren wird der Durchbruch der elektronischen Heimarbeit angekündigt. Jetzt kommt er wirklich.
In der Schweiz sind die Arbeitenden und nicht die Arbeit mobil. Noch ist Telearbeit hier zu Lande weniger alltäglich als der Stau am Baregg. Doch es tut sich was.
Bea Emmenegger
Telearbeit ist ein ähnliches Phänomen wie der Männerrock: Jeden Frühling feiern die Medien dessen unmittelbar bevorstehende Blütezeit, doch seine Träger bleiben Exoten. Genau so werden standortunabhängige Arbeitsformen regelmässig als die Norm der Zukunft dargestellt, doch noch immer bedeutet Arbeitszeit vor allem Präsenzzeit im Betrieb.
«Wäre Telearbeit der Stein der Weisen, hätte sie sich inzwischen durchgesetzt», sagt Urs Birchmeier, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ressort Arbeitsmarktpolitik des Staatssekretariats für Wirtschaft. Nur knapp jeder zehnte Erwerbstätige in der Schweiz pendelt nicht mehr täglich zwischen Wohn- und Arbeitsort, sondern erledigt den Job ganz oder teilweise abseits vom Standort der Firma.
Birchmeier ortet die Gründe dafür vor allem bei den Arbeitgebern: «Das geht bei uns nicht», sei ein häufig genanntes Argument von Managern, die entweder zu wenig über Telearbeit wissen oder sich etwas anderes als den Status quo nicht vorstellen können. Doch anders als der Männerrock scheint sich die Telearbeit jetzt tatsächlich vermehrt durchzusetzen: Die Schweiz hat in den letzten zwei Jahren gegenüber dem Ausland aufgeholt und liegt jetzt leicht über dem europäischen Durchschnitt.
Die im Februar erschienene Ecatt-Studie (Electronic Commerce And Telework Trends) untersuchte die Verbreitung von Telearbeit in der Schweiz und in zehn EU-Staaten. Sie offenbarte gewaltige Unterschiede: Während in Spanien nur drei Prozent Telearbeitende zu finden sind, sind es in Finnland 17 Prozent. Der europäische Durchschnitt liegt bei sechs Prozent. Doch darin sind auch jene Arbeitstiere eingeschlossen, die Liegengebliebenes halt noch zu Hause erledigen, das heisst Telearbeit auf ihr normales Pensum packen. Ebenfalls eingeschlossen sind die Handelsvertreter, die heute den Papierkram nicht mehr auf Papier erledigen, sondern online.
Erstaunlich ist, dass 52 Prozent der untersuchten Schweizer Betriebe angeben, Telearbeit anzubieten. Tatsächlich ist Telearbeit nicht eindeutig definiert. Allgemein ist sie dadurch charakterisiert, dass die Arbeit dank modernen Telekommunikationsmitteln standortunabhängig erledigt werden kann. Dazu braucht es den Zugriff auf firmeneigene Datenbanken von aussen.
Telearbeit setzt Vertrauen in die Mitarbeitenden voraus
«Da gibts anfänglich natürlich Bedenken bezüglich Datensicherheit», sagt Bigna Ladina Furter, Teamleiterin in der Personalabteilung der Swiss Re. Der Rückversicherer hat die Möglichkeit der Telearbeit vor zwei Jahren in die Arbeitsbedingungen aufgenommen, das heisst, alle Mitarbeiter können einen Home-Office-Arbeitsplatz beantragen und bis maximal 40 Prozent ihrer Arbeitszeit zu Hause verbringen. Bisher nutzen rund 400 der 2800 Beschäftigten diese Möglichkeit, Tendenz steigend. Denn inzwischen ist der Zugriff auf die Swiss-Re-Daten nach entsprechendem Sicherheits-Update von jedem Notebook aus möglich, nicht mehr nur vom fix eingerichteten Home-Office-Computer aus. Ein Fall von unerlaubtem Zugriff ist bisher nicht vorgekommen.
Dafür gibt es einige Fälle von instinktiver Abwehr beim Kader. «Die Führungskultur wird verändert. Wenn nicht mehr alle Leute ständig verfügbar sind, müssen kreative Lösungen im Umgang miteinander gesucht werden», sagt Furter.
Widerstände des Kaders hat auch Rolf Schoch, Autor der Ecatt-Studie in der Schweiz, als eines der Haupthindernisse für die Einführung der Telearbeit festgestellt: «Wenn der Abteilungsleiter durch seine Abteilung geht und keiner ist da, fragt er sich natürlich, wen er eigentlich leitet. Telearbeit bedeutet die Abkehr von der Kontrollmentalität, sie setzt eine Vertrauensmentalität voraus.»
IBM hat dieses Vertrauen offenbar: Im Schweizer Ableger des Computerkonzerns ist der mobile Arbeitsplatz seit fünf Jahren Realität, rund ein Drittel der 3000 Beschäftigten arbeitet teilweise ausser Haus. Am Sitz in Zürich wurde das Desksharing-Konzept umgesetzt. Wer gerade inhouse arbeitet, sucht sich einen Arbeitsplatz und legt los. Ausschliesslich zu Hause, beim Kunden oder unterwegs arbeitet auch bei IBM niemand, denn dadurch gehe die Verbundenheit zum Unternehmen flöten, zudem seien die sozialen Kontakte zu den Kolleginnen und Kollegen nötig und wichtig. Von Arbeitnehmerseite her wird die soziale Isolation gegen die Telearbeit ins Feld geführt. Doch ausschliessliche Telearbeit ist äusserst selten. Rolf Schoch hat als Regelfall einen bis zwei Arbeitstage ausserhalb des Firmensitzes ausgemacht. Und er hat festgestellt, dass Telearbeiter mehrheitlich männlich und häufig hoch qualifiziert sind sowie Leitungsfunktion und Führungsverantwortung haben.
Daheim wird schneller gearbeitet
Damit wäre auch das Vorurteil widerlegt, dass Telearbeit der Karriere schade. Die Erfahrungen bei Swiss Re deuten darauf hin, dass die Angst, durch Telearbeit ins Abseits zu geraten, tatsächlich abnimmt. «Mitarbeitende aller Hierarchiestufen machen vom Home-Office-Angebot Gebrauch», sagt Bigna Ladina Furter. «Es brauchte allerdings eine gewisse Anlaufzeit. Als wir das Konzept einführten, war ich von meinem Team von 30 Leuten die Einzige, die das Angebot nutzte. Inzwischen sind zwölf von uns mit einem Arbeitsplatz zu Hause ausgerüstet.»
Furter hat bei sich selbst eine Effizienzsteigerung festgestellt, weil Arbeiten, die Ruhe und Ungestörtheit verlangen, zu Hause schneller erledigt sind. Sie schätzt als allein erziehende Mutter die Möglichkeit, am Sonntagabend zu arbeiten und dafür am schulfreien Mittwochnachmittag freizunehmen. «Überdurchschnittlich viele der 400 Home-Office-Nutzenden haben familiäre Verpflichtungen, aber es ist keine frauentypische Arbeitsform. Bei uns sind 51 Prozent der Nutzer Männer.»
Angesichts der guten Erfahrungen müsste sich die mobile Arbeit endlich durchsetzen, zumal Studienautor Schoch ein Potenzial von über 50 Prozent Telearbeitenden ausgemacht hat. «So viele Erwerbstätige haben einen Job, der sich für Telearbeit eignet. Die Breitbandtechnologie dürfte für einen neuen Schub sorgen», sagt er. «Aber die Geschichte der Telearbeit ist die Geschichte der Fehlprognosen.»
Also wagt er keine darüber, wie verbreitet Telearbeit in zwei Jahren sein wird. So alltäglich wie der Pendlerstau wohl nicht.
Mobile Arbeiter klicken sich von zu Hause in die Datenbank der Firma ein.
maximal zwei tage
Telearbeit ist definiert als auf Informations- und Kommunikationstechniken gestützte Tätigkeit, die ausschliesslich oder alternierend an einem ausserhalb des Betriebs liegenden Arbeitsplatz verrichtet wird, der mit der zentralen Betriebsstelle durch elektronische Kommunikationsmittel verbunden ist. Dabei gibt es verschiedene Organisationsformen:
Teleheimarbeit: Ausschliessliche Tätigkeit in der Wohnung der Telearbeitenden. Wird kaum praktiziert.
Alternierende Teleheimarbeit: Tätigkeit im Wechsel zwischen betrieblichem und häuslichem Arbeitsplatz. Im Regelfall wird ein bis zwei Tage pro Woche zu Hause gearbeitet.
Mobile Telearbeit: Tätigkeit, die unterwegs, beim Kunden oder zu Hause mit Notebook und Modem erledigt wird. Betrifft zum Beispiel Handelsvertreter, Berater oder Servicetechniker.
riesige unterschiede
Die Schweiz hat aufgeholt: Nur in Skandinavien arbeiten mehr Menschen zu Hause. Der europäische Durchschnitt liegt bei sechs Prozent.